Die geheime Geschichte des Yoga

Die geheime Geschichte des Yoga

Die geheime Geschichte des Yoga

In diesem Radiobeitrag wird dargelegt, dass unsere heutige körperliche Yogapraxis mitnichten uralt sei, sondern erst im frühen 19. Jahrhundert entstand. Die Idee, Yoga sei eine alte indische Tradition, eine zeitlose Disziplin, die über lange Zeit vom Lehrer zum Schüler weitergegeben wurde, wird in Frage gestellt.


Behauptung: Asanas sind kein Yoga

Der Historiker Mark Singleton legt dar, dass einer der ersten Brahmanen der im Westen angebliche Yogaübungen vorführte, Babalakshim Das, ein religiöser Schwindler gewesen sei, der einfach nur eine clevere Idee hatte um zu Geld zu kommen. Auch Vivekananda, der 1893 beim Parlament der Religionen in Chicago einen Vortrag über indische Religiosität hielt, sprach von Meditation, nicht von Asanas. Da die meisten Yogaübungen heute dynamisch, also in Bewegung ausgeübt werden, sind sie nicht sthira, nicht stabil und somit kein Yoga.

Im klassischen Verständnis geht es im Yoga um die harmonische Integration der Persönlichkeit in fünf Bereichen: physisch, mental, emotional, sozial und spirituell, das meiste davon durch (still sitzende) Meditation erreichbar.

Die heutige Asana Yogapraxis ist ein Ergebnis der Integration von schwedischer Gymnastik aus dem frühen 19. Jahrhundert, gepaart mit Elementen aus Body building und militärischem Körper-Training.


Kommentar: Asanas  sind lehrreich

Ob ein Konzept nun tausend Jahre alt ist, oder 200 – wie wichtig ist das? Wie wirkt die Idee, funktioniert sie? Ich integriere in meinen Unterricht auch Elemente aus Feldenkrais und Pilates (ebenfalls aus dem 20. Jahrhundert). Auch Übungen der Physiotherapie gleichen oft Yogapositionen. Letztlich arbeiten wir alle mit dem selben Körper, nur mit unterschiedlichem Schwerpunkt was die Wirkung anbelangt. Vielleicht sollte die Frage eher lauten: Was möchte ich mit meiner Yoga-Praxis bewirken, was ist mein Ziel?

Für mich gehören zum Yoga neben der Asana-Praxis selbstverständlich auch Atemübungen (Pranayama) und Meditation. Beides wird durch die Körperarbeit unterstützt und erleichtert. In der bewussten Ausübung von Asanas, Atemübungen und Meditation kann ich sehr viel über mich selbst erfahren, über eigene Glaubenssätze, Strukturen, Reaktionsmuster.

Der Yogastil „Anusara“ wurde erst 1997 von John Friend gegründet, er basiert in weiten Teilen auf „Ijengar-Yoga“, ist aber eher für westliche Menschen zugeschnitten die nicht körperlich arbeiten. Er ist für unseren ruhelosen Geist auch mit Theorie/Philosophie und Gedanken zur inneren Haltung hinterlegt.

Einige der heute bekannten Yoga-Schriften sind tatsächlich ziemlich alt, z.B. die Veden, die Upanischaden und die bekannteste Schrift, das „Yoga-Sutra“ von Patanjali. Darin findet sich nur ein kleiner Abschnitt zu Asanas, also Körperübungen und der heißt in etwa: „das Asana sollte sich sowohl sthira (= fest/stabil) als auch sukha (= leicht) anfühlen bzw. ausgeführt werden“. Und Asana heißt wörtlich übersetzt einfach „Sitz“. Der entspannte und gleichzeitig aufrechte Sitz der zur Meditation am besten geeignet ist. Irgendwann hat man festgestellt, dass nur ein gesunder Körper lange genug sitzen kann.

Hierzu gibt es mehrere Theorien. Einerseits war die Praxis von Körperübungen so selbstverständlich, dass es nicht für nötig gehalten wurde, dies schriftlich festzuhalten. Andererseits waren die Menschen aktiv in der Natur unterwegs und haben so schwer körperlich gearbeitet, dass eine zusätzliche Bewegungsform nicht nötig war. Und nicht zuletzt kommt auch der Yoga aus einem patriarchalischen Gedankenhintergrund (klassisches Yoga und Vedanta). Die unteren 3 Chakras (Erde/Wasser/Feuer), der Körper selbst, das Leben in der realen Welt (als verschleiernde Maya) und alles Weibliche wurde sehr lange abgewertet. Es galt, diese zu überwinden und zu transzendieren, durch Meditation (im Sitzen ;-). Nur die oberen Chakras, die geistigen Fähigkeiten und die mentale „Erleuchtung“ war Sinn, Zweck und Ziel des Yoga und erstrebenswert. (Mehr über Chakras findest du hier!)

Erst mit der historischen Zeit des Tantra – 400 v.Ch. bis 1.500 n.Chr. (dieses Wort wird im heutigen Sprachgebrauch oft fälschlich gebraucht, siehe auch Beitrag: Was ist Tantra? Eine Richtigstellung) wurde erkannt, dass auch der Körper und das Leben auf der Erde wichtig und sinnvoll ist. Hier entstand dann auch eine Kultur des Körpers, mit Atem- und Körperübungen.

Der „Ur-Vater des modernen Yoga“, Krishnamacharya hat seine eigenen Entdeckungen der alten Traditionen entsprechend immer als „von außen bzw. durch Eingebung und von Gott empfangen“ dargestellt. Über seinen Lehrer ist wenig bekannt, uralte Schriften auf Bananenblättern existieren nicht mehr. Angeblich hat er während einer Trance in seiner Jugend lange verschollen geglaubte Texte empfangen und niedergeschrieben. Sicherlich hat er die Bewegungsrichtungen seiner Zeit beobachtet und vielleicht auch in seine Praxis integriert. Auch hat sich seine Unterrichtsform während seines Lebens immer wieder gewandelt. Vergleicht man den Stil seiner frühen Schüler mit dem seiner späteren, so zeigen sich große Unterschiede. Ganz nebenbei war er der erste Brahmane der es wagte, sich über Regeln hinwegzusetzen und eine Frau im Yoga zu unterrichten (Indra Devi).

Ich denke, es hat zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften spirituelle Bestrebungen gegeben, die sich naturgemäß in einzelnen Bereichen auch ähneln. Ob sowas wie Selbst-Erkenntnis schon Spiritualität ist oder nicht, ist sicherlich auch eine spannende Frage. Ebenso wie jeder Mensch unterschiedlich ist, gibt es aber auch hier verschiedene Formen. Das gilt sowohl für die Körperübungen als auch für Übungen für den Geist. Was sich mit der Zeit und den Anforderungen wandelt und anpasst, das wird auch in Zukunft genutzt werden.

Die meisten Yoga-Praktizierenden suchen und finden im heutigen Yoga die Möglichkeit, körperlich stark und flexibel zu sein/werden/bleiben und den Geist mit Atem und Meditation zu fokussieren. Wer allerdings im Yoga nach anderen Zielen strebt, nach irgendeiner Form des »Erwachens«, der ist sicher gut beraten, tiefer zu suchen.


Kommentar zu einem englischen Beitrag bei BBC Radio 4 · Link


Filmtipp: https://www.deratmendegott.de

Über

Grafikerin Web & Print, Yogalehrerin YA