Krishnamacharya

Der Vater des modernen Yoga

Viele der modernen Yogarichtungen (z.B. Iyengar-, Ashtanga-, Vinyasa-, Power-, Flow-, Anusara-, Vini-Yoga) lassen sich auf einen Mann zurückführen: S.T. Krishnamacharya.
Sri Tirumalai Krishnamacharya wurde 1888 in Südindien geboren. Wie viele der großen Lehrer erreichte auch er ein hohes Lebensalter und starb 1989. Er war indischer Yoga-Lehrer, Ayurveda-Heiler und Gelehrter. Obwohl er selbst sein Land nie verlassen hat, wurden Elemente seiner Lehren rund um die Welt bekannt. Seine Schüler B.K.S. Iyengar, Pattabhi Jois, Indra Devi, T.K.V. Desikachar, A.G. Mohan, Indra Mohan und Srivatsa Rama Swami sind Begründer moderner, heutiger Yoga-Traditionen.

Sein Vater erzählte ihm, er sei Nachfahre des Heiligen und Gelehrten Shri Nathamuni (9. Jhd.), des Verfassers der Yoga Rahasya (die Essenz des Yoga) welche seit 1.000 Jahren als verloren galt. Krishnamacharya soll die ersten Kapitel während einer Vision von seinem Vorfahren direkt erhalten haben – mit der Weisung, sie den Menschen weiterzugeben.

Sein Vater, selbst brahmahnischer Gelehrter, unterrichtet ihn ab dem 5. Lebensjahr in Yoga und den Veden. K. erlernte die klassischen indischen Disziplinen: Philologie (Liebe zur Sprache / Sprachwissenschaft), Logik und Musik. Zu dieser Zeit gab es nur noch wenige Yoga-Gelehrte. Nach mehreren Eroberungswellen durch Muslime ab dem 13. Jhrd., gefolgt von der britischen Kolonialherrschaft, waren alte indische Traditionen und das Wissen um Yoga in Vergessenheit geraten. Zudem wollten viele Inder modern sein und die alten Traditionen hinter sich lassen. Nach seinem Studium erhielt K. 1919 die Erlaubnis, nach Tibet zu reisen. In Sri Ramamohan Brahmachari fand er seinen Guru, bei dem er sieben Jahre in Abgeschiedenheit und Askese am Fuße des heiligen Berges Mount Kailash verbrachte und angeblich neben der Beherrschung von 3.000 Asanas einige herausragende Fähigkeiten erlangte, mit denen er später bei seinen Vorführungen – die er selbst „Promotion-Tours“ nannte – große Aufmerksamkeit erregte. Sein Lehrer schickte ihn dann zurück in die Welt, um eine Familie zu gründen und Yoga zu unterrichten.

Trotz seiner guten Bildung und seiner Zugehörigkeit zur höchsten Brahmanen-Kaste lehrte er nicht an damaligen bekannten Lehr-Instituten, sondern lebte weitgehend in großer Armut und musste häufig sein Essen erbetteln. In den 1930er Jahren reiste er durch Indien, hielt Vorträge über Yoga und demonstrierte mit seinen Schülern diverse Asanas und eigene „Kunststückchen“ zu denen er aufgrund seiner außergewönlichen Fähigkeiten in der Lage war. So konnte er angeblich den Herzschlag komplett anhalten, mit seinen Zähnen schwere Gegenstände heben und mit bloßer Hand ein Auto stoppen (die damaligen Autos hatten immerhin schon um die 12 PS).

„Um die Menschen für Yoga zu begeistern, muss man ihre Aufmerksamkeit gewinnen.“

K. arbeitete während seines Studiums auf einer Kaffeeplantage um seinen Unterhalt zu verdienen. Er erlangte alle sechs Grade der vedischen Darshans (klassische Systeme der indischen Philosophie: Anschauung bzw. Sicht der Welt von verschiedenen Standpunkten aus) – Mimansa (Veda – Erörterung), Vedanta (Lehre gegen Ende des Veda), Samkhya (weiteres philosophisches System), Yoga, Nyaya (Logik), Vaisheshika (Naturphilosopie).

1931 folgte er der Einladung der Maharadscha-Familie von Mysore, Sanskrit und Yoga zu unterrichten. Bereits damals legte er einen Schwerpunkt auf Heilung durch Yoga. Da er einigen Studenten zu strikt und disziplinarisch war, und der Maharadscha ihn nicht verlieren wollte, bot dieser ihm den Raum für eine eigene Yoga-Schule. Hier entwickelte K. den heute als Ashtanga bekannten Vinyasa Yoga-Stil. Diese Yoga-Richtung war ursprünglich mit Strenge und Disziplin zur Steigerung der physischen Fitness für männliche Jugendliche ausgelegt.

Als in den 40er Jahren der Einfluss der Maharadschas schwand und die neue britische Verwaltung wenig Interesse an Yoga zeigte, wurde die Schule aufgelöst. So war K. im Alter von 60 Jahren gezwungen, neue Wege zu gehen. Während seine Schüler in den 50er und vor allem den 60er Jahren im Westen einige Berühmtheit erlangten, arbeitete er relativ zurückgezogen und gab nun überwiegend Einzelunterricht. In den letzten Jahren seines Lebens integrierte er vedische Gesänge und Mantras in die Yoga-Praxis. Er beschäftigte sich auch mit Medizin und Heilpflanzen. In Indien ist Krishnamacharya bis heute eher als Heiler denn als Yogi bekannt. 

Die Betonung auf Kopf- und Schulterstand, die Vervollkommnung der Asanas und ihrer Abfolgen sowie die Verbindung von Pranayama und Asanas als integraler Teil der Meditation sind sein Verdienst – ebenso wie die Ausrichtung des Blickes (drishtis) während der Yoga-Praxis.

„Der Körper ist ein Tempel und der Atem ein Gebet“.

„Erkenne eine Kraft größer als Du selbst an, sei es die Sonne oder Deine Eltern“.

K. war ein gläubiger Mensch. Jede Handlung sollte ein Akt der Hingabe sein, jedes Asanas zu innerem Frieden führen. Waren seine Schüler nicht religiös, verlangte er zumindest o.a. Anerkenntnis.

Krishnamacharya hat für keine seiner Lehren oder Kenntnisse Urheberrechte beansprucht. Seiner Meinung nach gehört Yoga Gott. So schrieb er alle seine Ideen entweder alten Texten oder Meistern zu.

Seine Schüler erlebten ihn sehr unterschiedlich, je nachdem zu welcher Zeit sie ihm begegneten. So war K. anfangs Verfechter, später Reformer der alten Traditionen. In den frühen Jahren war er ein sehr strenger und unnachgiebiger Lehrer. Ähnlich wie er selbst es vermutlich erlebt hatte, waren Schläge und aus heutiger Sicht rücksichtslose Maßregelungen seine Lehrmittel. Als er später seinen Fokus auf Heilung legte und ihn die Lebensumstände dazu zwangen, erlebten ihn seine Schüler hingegen als geduldigen und milden Lehrmeister, der auf die individuellen Schwächen einging und sich zunehmend mit der therapeutischen Heilwirkung von Yoga befasste. Während er in seinen frühen Jahren mit Gruppen arbeitete, wurde sein Stil später sehr individuell, sein Fokus richtete sich auf die Heilung von Kranken und den Umgang mit Behinderungen. Seine ersten Schüler, Pattabhi Jois und Iyengar übernahmen und verfeinerten den frühen Stil während sein Sohn Desikachar und seine Familie eher den Einzelunterricht fortführten.

Quellen: yogajournal.com/; Film: »Der atmende Gott«; Bücher von Desikachar und den Mohans

Über

Grafikerin Web & Print, Yogalehrerin YA, Übersetzerin