Vikalpas
Positives oder Negatives Denken?
Gerade in der Yogawelt gibt es eine Tendenz zu sowas wie positivem Denken. Wir leben möglichst nachhaltig, streben nach einer guten Ausrichtung von Körper und Geist. Da ist nichts gegen einzuwenden. Aber haben wir nicht oft so ganz im Geheimen dahinter sowas wie eine Erwartung, dass es uns als Folge all unserer Mühen ja gut gehen sollte? Manche Menschen gehen dabei soweit, dass sie alles vermeintlich Negative komplett vermeiden, ob es Gedanken, Gefühle, Nachrichten oder Handlungen sind. Aus tantrischer Sicht ist das »spirituelles bypassing«, also der Versuch, der Fülle des Lebens auszuweichen um eine vermeintliche Abkürzung zu nehmen. (Die sich dann aber leider als Sackgasse entpuppt).
Ich bin ja so im Flow!
Eine weit verbreitete Idee vor allem auch in spirituellen Kreisen ist die: Wenn alles glatt läuft im Leben, dann sind wir gut mit dem Flow des Universums ausgerichtet. Das Universum will mich etwas lehren, und wenn ich mich dem gut füge, läuft’s auch prima. Wenn die Dinge gut zusammen passen denken wir vielleicht: »Ich bin begünstigt, mein Leben wird besser, die Welt ist magisch und fügt sich gut für mich zusammen«.
Solch ein Denken verankert auf tiefer Ebene eines dieser vikalpas, der tief programmierten Glaubenssätze.
Dualismus
Das Problem dabei ist, dass ein vikalpa zwingend in Beziehung zu seinem Gegenstück existiert. Solange wir in einem solchen Paar von Gegensätzen (welcher Art auch immer) gefangen sind, also diesen Glauben schenken, bewegen wir uns zwischen den Polen. Wir können niemals nur auf einer Seite stehen. Wenn also ein paar Dinge hintereinander schlecht laufen, wird das entgegengesetzte vikalpa ausgelöst: »Alles läuft schief, mein Leben geht nicht wirklich voran, nichts passt zusammen, ich bin in Ungnade gefallen«. Man ist deprimiert, glaubt nicht auf dem richtigen Weg zu sein, und schiebt sich selbst oder anderen die Schuld dafür in die Tasche. Zumeist weicht man solchen Gefühlen und Gedanken aus, überspielt sie und tut alles dafür, sich möglichst schnell wieder gut und aus dieser Sicht heraus irgendwie »richtig« zu fühlen.
Zwischen den Polen der vikalpas
All diese konstruierten mentalen Vorstellungen (vikalpas), die ein Gegenstück haben, sind vom Grunde ihres Wesens her wechselhaft und unbeständig. Solange wir zwischen den Polen hin- und herwandern, drehen wir die dazugehörigen Kopfgeschichten im Kreis. Wir sind in dualistischer Denkweise verhaftet (gut/schlecht, Belohnung/Bestrafung) und sind damit zwischen den Gegensätzen gefangen – schließlich muss jeder Pol irgendwann seinem Gegenteil weichen. Das ist ein Naturgesetz. Solange wir nicht dazu bereit sind, alle Lektionen des Lebens zu lernen, sind wir nicht frei. Solange wir etwas haben oder nicht haben wollen, sind wir an samskara, den Kreislauf der Folgen unserer vikalpas gebunden.
Moksha = Befreiung
Befreiung aus Tantrik-Sicht bedeutet, jede Stimmung und jedes Gefühl als ein Geschenk der Göttin zu sehen, ohne Bedingungen, ohne nach etwas zu streben oder es abzulehnen. »Ja« zu sagen zu allem, was uns das Leben anbietet.
Wir haben immer zwei Möglichkeiten, etwas über die eigene wahre Natur zu lernen: Lernen aus Zuständen der Expansion, und Lernen aus Zuständen der Kontraktion. Keins davon ist wertiger als das andere.
Dein Wert als Mensch oder deine Kompetenz als Yogī hat nichts damit zu tun, wie viel Zeit du in einem expandierten oder kontrahierten Zustand verbringst. Wahre Ausdehnung in die Fülle deiner göttlichen Natur beginnt, wenn du alle derartigen dualistischen Urteile radikal aufgibst. Eine solche wahre Entfaltung ist (nach einiger Übung) mit wenig oder gar keiner Anstrengung verbunden, denn sie bedeutet, dass wir in unsere wahre Natur eintreten.
Ein Seins-Zustand kein Konstrukt, er kann nicht ins Gegenteil umschlagen, denn er ist Wirklichkeit geworden.
inspiriert durch Christopher Hareesh Wallis, https://www.facebook.com/groups/tantrikyoganow
»Every Emotion is a Gift of the Goddess«