Lagom · es ist genug

Lagom · es ist genug

Es gibt Worte, die gibt es nicht in jeder Sprache und man muss im Deutschen weiter ausholen, um sie korrekt zu übersetzen und zu erklären. So kennen wir inzwischen das Wort »Shinrin« für Waldbaden, also in der Ruhe (oder auch den Geräuschen) der Natur zu verweilen um sich zu erholen. Die Dänen kennen das Wort »hyggelig« für ästhetisch ansprechend, gemütlich, geborgen. Und die Schweden haben die Philosophie von »lagom«, was so viel bedeutet wie: es ist gerade genug.

Höher, schneller, weiter?

Ich finde es einigermaßen bezeichnend, dass wir hier keine vergleichbaren Worte haben. Für mich selbst ist wahr, dass ich die meiste Zeit meines Lebens eher das Prinzip von »höher, schneller, weiter« verfolgt habe. Für mich persönlich war es weniger Karriere oder Erfolg oder Familie oder Reichtum, für mich war es immer ein mehr an Wissen und Können. Welches ist so dein persönliches schneller und weiter? Worum dreht sich dein Alltag maßgeblich? Für die meisten von uns ist das wahrscheinlich Familie und/oder Beruf, vielleicht noch ein Hobby.

Wann hast du dir das letzte Mal eine Auszeit ohne weitere Agenda gegönnt? Also nicht das nächste Erholungs-Event, Wellness-Wochenende mit tollem Programm, der edle Relax-Workshop, oder der crazy Mädels-Abend. Sondern einfach mal nur sitzen, vielleicht sogar ohne Termin, einfach so. Ohne Absicht, ohne Ziel, ohne Zeitlimit.

Zu viel des Guten

Das Wissen darum, dass menschliche Sehnsüchte unstillbar sind, und dass Verlangen zumeist nicht glücklich macht, ist keine neue Erkenntnis. Wie oft überschreiten wir die Grenzen von »lagom, gerade genug«. Ob es die schöne Feier ist, auf der sich alle amüsieren, bis die Kurzen ins Spiel kommen und alles aus dem Ruder läuft. Ob das fantastische Essen, das, weil man ja den Teller aufisst, irgendwann wie Blei im Magen liegt. Ob es ein inspirierendes Yoga-Retreat ist, bei dem ich nach drei Tagen einen Hexenschuss bekomme und nix geht mehr … Zu viel des Guten kennen wir alle, zu wenig ist zumindest in unseren Breiten oft eher eine Frage der Einstellung, als wirklich wahr.

Nicht nur bei uns, ich habe das Gefühl, auf der ganzen Welt fehlt eben genau dieser Begriff: lagom, gerade genug. Es bedeutet: mit dem zufrieden zu sein, was gerade ist. Das mag nicht besonders spektakulär klingen, hat aber gewaltige Auswirkungen.

Balance finden

Lagom ist für mich die Balance zwischen zu viel und zu wenig, eben gerade genug. Im kleinen bedeutet es, mit dem gemütlichen Dach über dem Kopf, einem warmen Zuhause, einigermaßen gesichertem Auskommen, ohne Krieg und unmittelbare Bedrohung von Leib und Leben in irgendwelchen menschlichen Verbänden (Familie, Kollegen, Freunde), leben zu dürfen. Im besten Fall auch noch ohne große gesundheitliche Einschränkungen.

Im Kleinen wie im Großen bedeutet es, nicht mehr vom Leben, von anderen und von der Umwelt zu nehmen, als ich gerade jetzt wirklich brauche. Es geht um Nachhaltigkeit in Bezug auf Konsum. Es geht darum, sich das beständige Streben von haben-wollen oder nicht-haben-wollen, bewusst zu machen und vielleicht zu beenden, um es in Yoga-Sprache zu sagen. Es geht schlichtweg darum, sich an den einfachen Dingen zu erfreuen und so ein Sprichwort wie »manchmal ist weniger mehr« ins Leben einzuladen. Es braucht keine Weltreise in die tollsten 10 Genusstempel der Welt, um ein fantastisches Menü zu genießen. Dasselbe gilt für Erlebnisse in der Natur, die durchaus auch in der Eifel erlebbar sind – müssen es wirklich die Rocky Mountains sein? Und das Treffen mit Freunden ist manchmal im heimischen Wohnzimmer viel hyggeliger, als auf einer gemieteten Traumjacht.

Im Yoga bedeutet es: ich gebe mein bestes in jeder gegebenen Position, aber eben auch nicht über meine Grenzen hinaus. Und wenn mein Körper sagt: »es ist genug!«, das auch freudig zu registrieren und mich in Kindhaltung oder einer anderen restaurativen Haltung wohlzufühlen. Die Bedeutung von lagom ist: sich ausruhen und entspannen, wenn sich etwas gut anfühlt.

Die kleinen Vergnügen machen uns als Menschen nicht kleiner, sondern glücklicher.

(inspiriert von bigthink.com)